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Aktuell Archiv

Im "Aktuell Archiv" befinden sich derzeit folgende Artikel:

- Neulich in Pirmasens

- Fenskes gefühlte Rezension

- Presseinformation April 2006: Angriff von rechts

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Neulich in Pirmasens

Ende März hielt ich einen Vortrag in Pirmasens, also der Höhle des Löwen, was den pfälzischen Separatismus und vor allem seine Bekämpfung angeht. Ende der achtziger Jahre dürfte es gewesen sein, da haben Gerhard und ich dort zum ersten Mal unsere Arbeitsergebnisse zum Pirmasenser Bezirksamtssturm vom 12. Februar vorgetragen; vor über hundert überwiegend älteren Leuten, von denen die meisten sichtlich (und in der Diskussion dann auch lautstark hörbar) empört waren, daß wir nicht, wie es die Überlieferung vorschreibt, das Hohe Lied vom gerechten und spontanen Volksaufstand gegen separatistische Tyrannei sangen. Ein paar Jahre darauf, als wir in Pirmasens unser eben erschienenes Buch "Revolverrepublik am Rhein" vorstellten, kannte man uns dann von daher schon und glänzte durch weitgehende Abwesenheit; immerhin, Dr. Robert Oberhauser, greiser Gralshüter der Überlieferung, war da, gab sich aber nicht zu erkennen und verschwand rechtzeitig, bevor wir ihn in der Diskussion hätten ansprechen können. Ein weiteres Jahrzehnt später, bei der Präsentation unserer "Pfalzbefreier" 2005, war die Resonanz noch geringer, obwohl gerade in diesem Buch der Bezirksamtssturm Thema ist.

Umso angenehmer überrascht war ich darum über den guten Besuch im Frühjahr 2007: über sechzig Besucher, schätzte ich; vielleicht, weil der Historische Verein in Pirmasens dazu eingeladen hatte. Wieder ein im Schnitt ziemlich altes Auditorium, das sich geduldig anhörte, was ich zu erzählen hatte. Nachher wurde es dann temperamentvoller; meistenteils lehnten die Leute, die sich zu Wort meldeten, meine Thesen ab, überwiegend jedoch in ziviler Form. Bis auf einen älteren Herrn (mit Doktor-Titel, wie mir nachher gesagt wurde), der eine regelrechte Schimpfkanonade gegen die längst verblichenen Separatisten vom Stapel ließ; gerade so, als hätten die ihm höchstpersönlich die Haut über die Ohren gezogen. In Zusammenhang mit dem Dritten Reich und der Ex-DDR habe ich eine derartige Haßpredigt noch nie gehört, auch nicht von Menschen, die allen Anlaß dazu hätten, wie ehemalige KZ- oder Stasi-Häftlinge.

Das läßt tief blicken - aber wohin?

Matthias Spindler, 10. Mai 2007

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Fenskes gefühlte Rezension

Zu Hans Fenskes Rezension zu „Die Pfalzbefreier“ in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Bd. 154 (Neue Folge 115), Stuttgart 2006 S.632f.

Schenkt man Hans Fenske Glauben, so waltet in der pfälzischen Historiographie, namentlich in der Aufarbeitung des Themas „Separatismus nach dem 1. Weltkrieg“ pure rationale Nüchternheit. Dass man in der Pfalz die Heldenerzählung von der Befreiung von separatistischer Terrorherrschaft nicht aufzugeben gewillt sei, wäre ein Popanz, den Gräber/Spindler errichten würden, um ihn dann mit Übereifer zu bekämpfen.  Allein schon ein Blick in Ortschroniken, die in jüngster Zeit entstanden sind, oder die erinnerungspolitisch fragwürdige Gedenktafelaktion am Wittelsbacher Hof in Speyer indizieren, dass das Gegenteil der Fall ist. Vor allem aber der Versuch von Matthias Schneider in der „Pfälzer Heimat“ mit Rückendeckung der Spitze des „Historischen Vereins der Pfalz“ unsere Arbeit als antipatriotisches Machwerk zu entlarven, offenbart ein in der Pfalz diesbezüglich immer noch vorherrschendes bedenkliches Geschichtsbild.
Dass wir, so Fenskes zweiter schwer wiegender Kritikpunkt, das Umfeld, aus dem die antiseparatistischen Gewaltaktionen entstanden sind, französische Rheinpolitik, Ruhrbesetzung und passiver Widerstand, nur kursorisch skizieren, leisten wir uns angesichts der Tatsache, dass wir dazu in „Revolverrepublik am Rhein“ auf 481 Seiten (plus 109 Seiten Anmerkungen) eine Darstellung geliefert haben, die in ihrer politik- , wirtschafts- und alltagsgeschichtlichen Dichte und Breite bezogen auf die Pfalz bislang noch nicht überboten worden ist. Wiederholt eigentlich Hans Fenske immer wieder sein Standardwerk über „Konservatismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918“, wenn er über ein Folgethema schreibt?
Schaut man sich Fenskes Vorwurf etwas genauer an, so mahnt er etwas ganz Bestimmtes an: „Schon die Rheinlandbesatzung belastete das Deutsche Reich schwer, die Ruhrbesetzung steigerte den Druck ganz auflerordentlich.“ Der Druck, dem Frankreich dadurch ausgesetzt war, dass es vier Jahre lang den Kriegsschauplatz abgab, gehört anscheinend nicht mehr zum Umfeld, aus dem die Krise von 1923 erwuchs. Fenske verrät hier einen antifranzösischen Unterton, den man auch in seinen eigenen Veröffentlichungen wahrnehmen kann (zum Beispiel : Hans Fenske, Deutsche Geschichte. Vom Ausgang des Mittelalters bis heute, Darmstadt 2002).
Auch seine apodiktische Feststellung, dass „wir [wer ist das?]bereits seit 1971 genauì wüssten, dass die britische Regierung schon im Oktober 1923 Belgien von einer Abkehr von der französischen Politik überzeugt habe, ist, bezogen auf die Pfalz, so nicht haltbar. Sie beruht anscheinend auf der Arbeit von Ludwig Zimmermann, die 1971 von Walther Peter Fuchs posthum herausgegeben wurde. Zimmermann hatte während des 2. Weltkriegs im besetzten Paris mit anderen Historikern und Archivaren den offziellen Auftrag des NS-Staates die Aktenbestände am Quai díOrsay (französisches Auflenministerium) zu durchforsten.

Dass in „Die Pfalzbefreier“ große Politik nicht vorkomme, ist mit dem Hinweis auf Kapitel 1 und 4 und auf die Abschnitte „Fristenlegende“, „Instrumentalisierung des Attentats für Amnestiekampagne“ und „Die Pfalz in den Wochen nach dem Attentatì“ in Kapitel 2 zurückzuweisen. Vielleicht hat Professor Fenske dies nicht so genau gelesen, schießlich hat er das Buch mehr mit dem Gefühl rezensiert, wie er in seinem denkwürdigen Schlusssatz anklingen lässt.

Schade finde ich allerdings, dass wir Herrn Fenske nicht vor Veröffentlichung bei der Titelfindung zu Rate gezogen haben: „Keine Pfalzbefreier!“, ein wirklich grandioser Vorschlag.

Gerhard Gräber          Karlsruhe im Dezember 2006


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Presseinformation                    April 2006



Angriff von rechts
Buchveröffentlichung „Die Pfalzbefreier“ in der Diskussion: Geschichtspolitisch motivierter Beitrag in Zeitschrift des Historischen Vereins der Pfalz lanciert.

In der jüngsten Ausgabe der „Pfälzer Heimat“1 wird das von Gerhard Gräber und Matthias Spindler 2005 beim Verlag pro message in Ludwigshafen veröffentlichte Buch „Die Pfalzbefreier. Volkes Zorn und Staatsgewalt im bewaffneten Kampf gegen den pfälzischen Sepratismus 1923/24“ aus einer stark rechtslastigen Position heraus scharf angegriffen. Gräber und Spindler arbeiten in ihrer Darstellung heraus, dass die Hauptgewaltaktionen gegen die pfälzischen Separatisten – das Attentat auf Separatistenführer Heinz am 9. Januar 1924 und der Sturm auf das Bezirksamt in Pirmasens am 12. Februar 1924– keine glorreichen Heldentaten der Selbstbefreiung des pfälzischen Volkes waren, als welche sie immer wieder gefeiert wurden, sondern einen rechtsextremistischen Hintergrund hatten.  Die Taten werden als frühe Vorboten nationalsozialistischen Terrors interpretiert.

Dagegen wendet sich der Speyerer  Matthias Schneider nun in der „Pfälzer Heimat“ in ausführlichen „kritischen Anmerkungen“ und wirft den Autoren Gräber/Spindler  Einseitigkeit und die Herabwürdigung patriotischer Motive vor. Bemerkenswert ist dabei, dass Schneider Positionen bezieht, wie sie heutzutage vor allem im Dunstkreis der neuen Rechten zu finden sind. So werden die rechtsextremistischen Freikorps-Verbände als Stützen des Staates gegen „innere und äußere Feinde“ gewertet und das Attentat auf Heinz als soldatische Pflichterfüllung gesehen. Schneider übernimmt damit distanzlos die Perspektive von Männern, die dem gleichen Umfeld entstammten wie die Mörder Erzbergers und Rathenaus. Ganz nebenbei wird der Begriff „englische Hungerblockade“ gestreut und als wissenschaftlicher Zeuge der General a.D. Gerd Schultze-Rhonhof angerufen, dessen Buch „Der Krieg, der viele Väter hatte“ (München 2003) auch in konservativen Feuilletons als rechtsgerichteter Geschichtsrevisionismus angesehen wird.

Matthias Schneider ist bereits 2003 mit einer fragwürdigen erinnerungspolitischen Aktion in Speyer in Erscheinung getreten. Er hat eine Initiative ins Leben gerufen zur Wiederanbringung einer Gedenktafel am Wittelsbacher Hof zur Erinnerung an das  Attentat auf Sepratistenführer Heinz. Der Tafeltext ehrt die beiden ums Leben gekommenen Attentäter Hellinger und Wiesmann als Freiheitskämpfer, die für die Pfalz „gefallen“ seien. Andere Opfer, auch Nichtseparatisten, sind des Gedenkens anscheinend nicht wert. Der politische Hintergrund der Attentäter wird tunlichst verschwiegen. Matthias Schneider hat offensichtlich keine Probleme mit Einseitigkeit, wenn diese die „richtige“ Seite betrifft. Der Gipfel der Aktion war die Teilnahme eines Vertreters der „Kameradschaft Freikorps und Bund Oberland“. Die Traditionsvereinigung hält alljährlich im bayerischen Schliersee Gedenkfeiern zu der Schlacht am oberschlesischen Annaberg (1921) ab, bei der auch rechtsextremistische Redner, u.a. die Himmler-Tochter Gudrun Burwitz, auftreten.

Die Gedenktafel-Aktion Schneiders ist vom heutigen stellvertretenden Vorsitzenden des Historischen Vereins der Pfalz Dr. Hansjörg Bipp unterstützt worden, während der damalige Vorsitzende des Historischen Vereins der Pfalz, Dr. Schädler, mit der Aktion nichts zu tun haben wollte.  Dr. Bipp hat jetzt auch den sechsseitigen Beitrag Schneiders an für eine Buchsbesprechung unüblich exponierter Stelle im Hauptteil der „Pfälzer Heimat“ lanciert. Auch ist bemerkenswert, dass Schneider als Nichthistoriker in dieser Publikation einen  solchen Raum bekommt.
Dankenswerterweise hat die Schriftleitung der „Pfälzer Heimat“ den Autoren Gräber/Spindler  die Möglichkeit einer Replik in der nächsten Ausgabe im Herbst 2006 zugesagt, die diese wahrnehmen werden.

1) Zeitschrift der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Verbindung mit dem Historischen Verein der Pfalz, Heft 1 2006

Unsere ausführliche Replik finden Sie  unter  >Texte


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