RAUM FÜR UNERLEDIGTE GESCHICHTE(N)
Aktuell Archiv
Vortrag bei der deutsch-französischen Gesellschaft Ludwigshafen/Mannheim eV

Hier der Einladungstext des Veranstalters:

Historischer Vortrag: Dienstag 15.4.2008

Separatismus in Rheinland und Pfalz nach den beiden Weltkriegen:
Erfahrungen mit einem heiklen deutsch-französischen Thema

Dienstag, den 15.4.2008 um 19:00 Uhr im Stadtarchiv Ludwigshafen in der Rottstr. 17

Referenten:     Matthias Spindler und Gerhard Gräber

Im Herbst 1923 eroberten bewaffnete Gruppierungen vorübergehend die Macht in den deutschen Regionen links des Rheins und erklärten deren staatliche Unabhängigkeit in Abspaltung vom Deutschen Reich. Es war, nach ersten Ansätzen 1919 und vor der erfolglosen Wiederaufnahme solcher Ideen nach 1945, der Höhepunkt separatistischer Bestrebungen, die jeweils ohne Unterstützung durch französische Besatzungstruppen vor Ort kaum so weit hätten gedeihen können. Von daher belasten die Vorgänge das deutsch-französische Verhältnis bis auf den heutigen Tag, wenngleich im Zeichen der europäischen Einigung eher unter der Oberfläche. Die Referenten Gerhard Gräber und Matthias Spindler, seit Jahrzehnten befasst mit der Erforschung des Separatismus in ihrer pfälzischen Heimat, haben die unterschiedlichen Gefühle von Peinlichkeit auf deutscher wie französischer Seite bei ihrer Arbeit erfahren. In ihrem Vortrag plädieren sie für eine offene Aussprache über das unbequeme Thema, basierend auf einer gründlichen Kenntnis der historischen Tatsachen und deren Bewertung ohne nationale Scheuklappen.

Anmeldung nicht erforderlich. Einfach kommen und Freunde mitbringen. Es sind genug Plätze vorhanden!
Wir freuen uns, daß wir Ihnen dieses Angebot machen durften.

A bientôt     Claus Schönbucher & Dr. Peter Renner
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Nahaufnahme: Edenkoben 1933

So lautet der Titel einer  12teiligen Sendereihe im SWR 2 - Hörfunk, in der Matthias Spindler am Beispiel einer pfälzischen Kleinstadt die Mikrostruktur der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beleuchtet.
Sendestart:  29. Januar 18.40 Uhr "Journal aus Rheinland-Pfalz"

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Sie finden auf dieser Seite  weitere Nachrichten und Artikel zu folgenden Themen:

-   May-Biographie in Auszügen im Schifferstadter Tageblatt

-  Früh übt sich, wer Separatist werden wird

- Wie unterhaltsam darf Geschichtsschreibung sein?

- Porträts von Philipp Jacob Klund und Johannes Hoffmann

- Mitarbeit am Historischen Lexikon Bayerns

- Bräunliche Grüße aus der Südpfalz
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May-Biographie in Auszügen im Schifferstadter Tageblatt

veröffentlicht.

   Eine der schillerndsten Figuren in der Führungsriege der pfälzischen Separatisten war Georg May, auch als "Bären-May" geläufig: Von Beruf Weinhändler in Schifferstadt, avancierte der 37jährige quasi über Nacht, zu Beginn des Separatistenputsches am 5. November 1923 in Kaiserslautern, zum Oberkommandierenden des "Rheinlandschutzes", der separatistischen Miliz in der Pfalz. Im Dezember 1923, nach vollzogener "Eroberung" der Region, wechselte er zur separatistischen Zivilverwaltung über, als Bezirkskommissar für den Bezirk (heute würde man sagen: Kreis) Speyer. In den Jahren nach Zusammenbruch der Autonomen Pfalz im Februar 1924 blieb Georg May, bodenständiger Pfälzer, der er war, als einziger der führenden Autonomisten weiterhin in der Region. Vielfachen Angriffen in der Öffentlichkeit ausgesetzt, veröffentlichte er 1929, als Rechtfertigungsschrift gedacht, ein Buch über sein auch vor 1923 recht abenteuerlich verlaufenes Leben.
   Die Idee, dieses Leben noch etwas genauer, mit den Methoden des Historikers, unter die Lupe zu nehmen, resultierte aus Matthias Spindlers Beschäftigung mit dem Thema Schifferstadt in der Separatistenzeit für die 1998 erschienene Schifferstadter Ortschronik; den Anstoß gab der dortige frühere Bürgermeister Josef Sold. Freilich stellte sich rasch heraus, wie schwierig es ist, Quellen zu finden über einen "kleinen Mann aus dem Volke", der vor seinem politischen Hervortreten im wahrsten Sinne des Wortes ein weithin unbeschriebenes Blatt gewesen ist. Dazu kommt, daß bei Georg May auch keine bei seinen Nachfahren bewahrte Familienüberlieferung ausgewertet werden konnte.
   Unter diesen Umständen sind wir froh, vorerst wenigstens eine Teilbiographie Georg Mays, sein Leben bis zum 1. Weltkrieg betreffend, vorlegen zu können. Sie erschien Ende Februar 2007 mit Unterstützung der örtlichen Sparkasse Vorderpfalz, als Computerausdruck in ca. 30 Exemplaren; eine reine Bibliotheksauflage ohne die Möglichkeit, die Broschüre im Buchhandel erwerben zu können.
   Glücklicherweise ergab sich beim "Schifferstadter Tagblatt", einer der wenigen in der Pfalz noch existierenden Tageszeitungen jenseits der in der Region dominierenden Ludwigshafener "Rheinpfalz", die Gelegenheit zu einem auszugsweisen Abdruck, und das in beachtlicher Länge. In drei Teilen brachte das "Tagblatt" die Artikelserie in seiner Samstagsbeilage am 12., 19. und 26. Mai 2007. Sie enthält über den Wortlaut unserer biographischen Schrift hinaus etliche neu geschriebene Passagen und beleuchtet Georg Mays gesamten Lebensweg bis zu seinem gewaltsamen Tod als KZ-Häftling 1937.

Matthias Spindler, 24. Juni 2007

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Hier dokumentieren wir den zweiten Teil der Artikelfolge vom 19. Mai 2007.

Früh übt sich, wer Separatist werden wird

Wie der junge Georg May in den Jahren 1911/12 Schifferstadts Landwirtschaftlichen Konsumverein zu sprengen versuchte

Von Matthias Spindler

   Im Herbst 1923 wurde der Schifferstadter Weinhändler Georg May weithin bekannt als einer der Anführer der seinerzeitigen separatistischen Bewegung in der Pfalz. Unter dem Titel "Junger Herr vor 1914" widmen sich die Historiker Gerhard Gräber und Matthias Spindler nun Georg Mays Vorleben in den Jahren bis zum 1. Weltkrieg. Auszüge aus ihrer Schrift, Vorgänge in Schifferstadt im "Kometenjahr" 1910 betreffend, hat das Tagblatt kürzlich bereits abgedruckt.
   Thema heute ist eine Kettenreaktion von Geschehnissen, die Georg May, gerade mal 25 Jahre alt und Wirt im Schifferstadter Gasthaus "Zu den Drei Mohren", im Herbst 1911 in Gang setzte. Verantwortlich dafür waren Wesenszüge, die später auch, während und nach der Separatistenzeit, sein politisches Verhalten prägen sollten: Eine eigensinnige Mischung von persönlichem Geltungsdrang und sozialem Sendungsbewusstsein, die bei seinem leicht erregbaren Naturell abenteuerliche Entschlüsse reifen ließ, deren Auswirkungen ihm dann selbst am meisten schadeten.
   Charaktereigenschaften, die vielleicht nicht ganz so extrem ausgeprägt auch schon seinen Vater Jakob May 3. kennzeichneten. Im Herbst 1911 findet man ihn als Bundesgenossen an der Seite des Sohnes in leidenschaftlich geführten Auseinandersetzungen um Schifferstadts Landwirtschaftlichen Konsumverein.
   Die Vorform dieser Einkaufsgenossenschaft für bäuerliche Bedarfsartikel, in Schifferstadt etliche hundert Mitglieder aufweisend, hatte Jakob May in den 1880er Jahren mitgegründet. Um 1900 hatte sich der Konsumverein neu formiert und der Raiffeisen-Organisation angeschlossen, unterhielt sein Warenlager aber nach wie vor auf dem Gelände der "Drei Mohren" - der stattlichen Wirtschaft in der Ortsmitte, die einst Jakob May gehört hatte und seit Frühjahr 1910 von Sohn Georg betrieben wurde. Doch nicht mehr lange.

Kreuzzug aus verletzter Ehre

Die Affäre um den Landwirtschaftlichen Konsumverein entzündet sich an dessen Mietvertrag mit den "Drei Mohren". Zuletzt ist er im September 1907 verlängert worden, für sechs Jahre zum (vermutlich jährlichen) Mietpreis von 460 Mark. Irgendwann in der Zwischenzeit hat der allgemeinen Teuerung wegen eine Nachbesserung stattgefunden, eine Erhöhung auf 500 Mark.
   Nicht genug für den umtriebigen neuen Hauseigentümer: Bei der Generalversammlung des Konsumvereins im September 1911 verlangt Georg May noch mal 20 Prozent mehr. Die Anwesenden beanspruchen Bedenkzeit und verabreden sich zu einer weiteren Versammlung am Sonntag darauf, auf neutralem Boden nun, in der Wirtschaft zur "Kanne". Dort wird dann beschlossen, "der geforderten Mieterhöhung von 500 auf 600 Mk. nicht zu entsprechen und ein anderes Konsumlager zu mieten."
   Das ist eine Entscheidung, die Familie May als Affront auffasst, den sie nicht auf sich beruhen lassen kann. Vier Wochen später wird's offensichtlich, als im "Schifferstadter Anzeiger" an die Verdienste "von Herrn Jakob May 3." erinnert wird: Unter großen persönlichen Opfern habe er einst den Konsumverein "für das Wohl der ganzen Bürgerschaft gegründet", und jetzt wolle man dessen Domizil "ohne einen wichtigen Grund" verlegen - "Undank ist der Welt Lohn." So lautet die Überschrift der Erklärung, die "mehrere Bürger" im Anzeigenteil der Zeitung veröffentlichen, ohne sich namentlich zu erkennen zu geben.
   Dafür warten sie mit einer Überraschung auf: "Es haben sich aber schon einige Männer zusammengetan, die einen neuen Konsumverein im alten, besteingerichteten Lokal gründen wollen."
   Wieder einen Monat später sind die Vorbereitungen so weit gediehen, "daß Herr Georg May selbst von Montag ab mit der Liste von Haus zu Haus geht", um die Eintrittswilligen einzutragen. "Eine Konkurrenz in dieser Branche ist nur zu begrüßen", versichern die Neugründer in ihrem Aufruf.
   Die Konkurrenten vom alten Konsumverein können's nur bestätigen: Für lediglich 400 Mark Jahresmiete werden sie ihr Lager künftig bei einem anderen Gastwirt aufschlagen, Xaver Armbruster von der "Rheinpfalz" nahe dem Schifferstadter Rathaus.

Schlammschlacht in der Zeitung

   Schiedlich-friedlich geht die Scheidung nicht vonstatten. Wobei es die Maysche Seite ist, die mit der Verbitterung des verschmähten Liebhabers die Schlammschlacht eröffnet. "Anzeiger"-Verleger Emil Geier darf sich freuen: Ausgetragen wird sie zu einem nicht geringen Teil per bezahlter Annonce in seiner Zeitung, Kostenpunkt 10 Pfennig je Zeile einspaltig.
   Zum Beispiel mit dem Vorschlag "mehrere(r) Bürger" an die Adresse der Mitglieder des bisherigen Konsumvereins, den Reservefonds der Genossenschaft, weil angeblich überflüssig, aufzulösen und das Geld den Anteilseignern auszuzahlen. Das ist fein ausgedacht, denn so würde vor dem Übertritt in den neuen Verein der Austritt aus dem alten noch versüßt.
   Der hinterhältige Anschlag aufs Eingemachte, just am Tag einer außerordentlichen Generalversammlung des Konsumvereins annonciert, gerät freilich zu einem Schlag ins Wasser. Vor den erwartungsvoll in großer Zahl erschienenen Mitgliedern kann Vereinsrechner Hermann Mayer 2. genüsslich gesetzliche Bestimmungen referieren, wonach "ausscheidende Genossen an Reservefonds und das sonstige Vermögen der Genossenschaft keinen Anspruch haben".
   Von daher bleibt den Neugründern wohl gar nichts anderes übrig, als den leer Ausgehenden zu versichern, dass im zukünftigen Verein überhaupt "kein Kapital angehäuft werden" solle. Ob das Genossenschaftsrecht ein Wirtschaften ohne Rücklagen überhaupt erlaubt, bleibt unerörtert.
   Da ist ein wenig üble Nachrede doch viel wirkungsvoller. Was daran so übel sein soll, wenn der Konsumverein "bei Nachtzeit Ware per Fuhrwerk" aus seinem Altlager in den "Drei Mohren" abfährt und verkauft, lässt sich zwar kaum nachvollziehen. Aber für die Vereinsführung ist es schlimm genug, um eine "Erklärung!" in die Zeitung zu setzen: "Wir zeihen diejenigen, welche im Dorfe umhergehen" und derartiges behaupteten, "solange der Lüge, Verläumdung und größten Niederträchtigkeit, bis dieselben uns den Nachweis hiefür bringen."
   Wird gemacht, sogar noch in derselben Ausgabe des "Schifferstadter Anzeigers" vom 2. Dezember 1911: "Wir erklären auf unsern heiligen Eid, daß die Ware bei größter Dunkelheit abgefahren wurde." Wir, das sind "Mehrere Zeugen. I.A. Georg May". Irgend jemand muss ihnen rechtzeitig vor Redaktionsschluss einen Wink gegeben haben.
   Der massive Gegenschlag erfolgt im "Anzeiger" vom 6. Januar 1912, rechtzeitig vor der Gründungsversammlung des neuen Vereins. Angesetzt ist sie auf Sonntag, den 7. Januar, mittags 1 Uhr im oberen Lokal der "Drei Mohren". Ein früherer Termin hat drei Wochen zuvor aus Rücksichtnahme auf die an St. Jakobus gerade stattfindende katholische "Mission" abgesagt werden müssen.
   "Es sind zirka 100 Bürger, welche dem alten und besten Lager am Platze treu bleiben." In seiner Einladung zur Versammlung, gleich zweimal in den "Anzeiger" gerückt, schreibt Georg May (neben dem "mehrere Bürger" weiterhin ihren Namen verschweigen) die Schuld an der Trennung von Lager und Konsumverein dem letzteren zu: "Den Hauptanstoß bildete nur persönliche Rache gegen den seitherigen Vermieter und weil dieser sich nicht so leicht ins Boxhorn hat treiben lassen." Die Vereinsführung hätte vor Jahren bereits an Weggang gedacht und nun in "einer geringfügigen Kleinigkeit" den Vorwand dazu gefunden. "Der Vermieter war gezwungen, zu kündigen". Dass Georg May eben das im September getan hat, erfahren die Leser dabei zum ersten Mal.
   Den von ihm konstruierten Vorwurf des böswilligen Verlassens mögen "mehrere Verwaltungsmitglieder" des alten Vereins nicht auf sich sitzen lassen. Mit ihrer Gegenerklärung in der Ausgabe vom 6. Januar schaffen sie "Aufklärung". Unter anderem darüber, dass Georg May schon vor dem Knackpunkt der Mieterhöhung mit ihnen in Konflikt geraten ist: "May jung hat sich ganz eigenmächtig zwei dem Verein gehörige Räume angeeignet, ohne die Verwaltung zu fragen; nämlich den Kellervorplatz und den Raum links an der Toreinfahrt. Auch drückte sich derselbe aus: er fragt überhaupt Niemand, er macht in seinem Haus was er will. Die Räume an sich gezogen und auch den vollen Mietpreis genommen."
   Dass "May jung und alt" Hand in Hand vorgehen, steht für die Verfasser der Gegenerklärung außer Frage. Weshalb sie auch nicht versäumen, an Vater Mays Rolle in einer Raiffeisen-Affäre der Jahre 1905ff. zu erinnern, als er "alle Mittel anwendete, um den (Darlehenskassen-)Verein zum Falle zu bringen". Aus dem Landwirtschaftlichen Konsumverein aber hätten sich "der großen Prahlerei" zum Trotz "bis jetzt nur zwei Mitglieder abgemeldet, nämlich Jakob May 3. und sein Nachbar S." Und von wegen 100 Anmeldungen für die Neugründung - lediglich 37 seien es, wie "von informierter Seite" verlaute.
   Über ihre verborgenen Drähte ins gegnerische Hauptquartier meint die Konsum-Verwaltung außerdem in Erfahrung gebracht zu haben, wie sich die beiden Mays insgeheim, im Kreise von Vertrauten, zum Stand der Dinge äußern. Pessimistisch: "Diesen Herren kommt jetzt erst, was sie gemacht haben, und sie haben schon selbst zugegeben, daß sie gefehlt haben."

Gründung eines neuen Konsumvereins

   Verhindern können die gehässigen Unkenrufe die Gründung eines neuen landwirtschaftlichen Konsumvereins in Schifferstadt nicht. Am nächsten Tag geht sie planmäßig über die Bühne im "Drei Mohren"-Saal, mit dem Hausherrn am Vorstandstisch. "Nach herzlicher Begrüßung" übergibt Georg May den Vorsitz der Versammlung an einen Agrarfachmann, den Landwirt Friedrich Blickensdörfer.
   Mit dem Gutsbesitzer Jakob Hege wählen die Anwesenden dann noch einen zweiten Mennoniten vom Kohlhof vor den Toren Schifferstadts in den Verwaltungsrat des neuen Vereins. Über die restlichen Mitglieder des elfköpfigen Gremiums lässt sich wenig sagen, weil sie im öffentlichen Leben bislang nicht hervorgetreten sind, bis auf den Gastwirt und Kohlenhändler Georg Michael Schlosser 8. Er hat bei den Gemeinderatswahlen 1909 erfolglos auf der Liste "Bürgerliche Vereinigung" des nachmaligen Bürgermeisters Eckel kandidiert.
   Georg May und sein Vater Jakob sind im Verwaltungsrat nicht vertreten; vermutlich weil sie es nicht wollen und gar nicht erst kandidiert haben. Der Verwaltung des alten Konsumvereins sind die Elf vom neuen auch so ein Dorn im Auge. Persönliche Verunglimpfungen bleiben nicht aus: Ein paar Wochen später zieht jemand von seiten des Konsum-Establishments in "derartig ungehörigen Ausdrücken" öffentlich über die Konkurrenz her, dass die Beleidigten es mit einem "'Pfui' über ein solches Gebahren" in einem Leserbrief an den "Anzeiger" nicht bewenden lassen. Ihr Gang zum Sühnegericht kostet den verbalen Übeltäter je 30 Mark an die Gemeinde-Armenkasse und das St. Elisabethen-Stift sowie den Preis einer Zeitungsanzeige, auch wieder im "Anzeiger", in der er seine "verleumderischen Aussagen mit Bedauern und Reue zurück" nimmt.

Das dicke Ende

   Es ist, Ende März 1912, das letzte Erfolgserlebnis für die "Bezugs- und Absatz-Genossenschaft, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht zum An- und Verkauf landwirtschaftlicher Bedürfnisse zu Schifferstadt", wie sich der neue Konsumverein ebenso umständlich wie sprachlich fragwürdig benannt hat.
   Die ihr anvertrauten Bedürfnisse bedient diese Genossenschaft wenig länger als ein Jahr. Dann erfolgt durch Beschluss ihrer Generalversammlung vom April 1913 bereits die Selbstauflösung.
   In erster Linie wohl mangels Masse: Nur 28 Schifferstadter schenken der Neugründung von Anfang an das Vertrauen, im Verlauf des Jahres 1912 kommen noch mal 11 hinzu. Macht zusammen 39 und damit nicht mal zehn Prozent der knapp 450 Mitglieder, die der alte Landwirtschaftliche Konsumverein Ende 1912 zählt.
   Der tut auch einiges, sie bei der Stange zu halten. Wer seine 1911 beim Verein getätigten Käufe nicht bezahlen kann, erhält Kredit bis September des Folgejahres. Und nicht von ungefähr platziert jemand, kaum hat die Bezugs- und Absatz-Genossenschaft ihre Tätigkeit aufgenommen, in den "Anzeiger" die hämische "Anfrage! Warum ist der neue landw. Konsumverein in verschiedenen Artikeln teuerer?"
   Woraufhin die Angefragten in einem "Eingesandt" an die gleiche Zeitung Schifferstadts Verbraucherinnen und Verbrauchern vorrechnen, dass der alte Verein bis zur Geschäftseröffnung des neuen zum Beispiel Weizenmehl über dem gängigen Marktpreis verkauft hat, seither jedoch darunter. "In den anderen fraglichen Fällen dürfte die Sache ähnlich gelagert sein. Jeder Bürger mag sich selbst sein Urteil bilden, aber auch erkennen, daß er den ihm so gebotenen nachträglichen Nutzen nur der neuen Genossenschaft zu verdanken hat."
   Georg May hat also Recht behalten mit seiner verbraucherfreundlichen Vision; freilich - Undank ist der Welt Lohn - auf Kosten der eigenen Vereinsschöpfung, die dem Wettbewerb mit dem ungleich mächtigeren alteingesessenen Konkurrenten auf die Dauer nicht gewachsen ist.
   Und ihm selbst hat die fehlgeschlagene Vereinsgründung die bürgerliche Existenz ruiniert. Mit den Kunden des Konsum-Lagers verlieren die "Drei Mohren" einen Großteil ihrer Stammkundschaft, vergrault wohl auch durch den allzu disputiersüchtigen Hitzkopf hinterm Tresen: "Als Wirt eignete ich mich nicht, denn ich konnte wegen einem Glase Bier oder Wein meine Gesinnung nicht preisgeben". So umschreibt Georg May das Desaster siebzehn Jahre danach in seinen Memoiren, in charakteristisch idealistischer Vernebelung der Tatsachen, über die er kein weiteres Wort verliert. Es spricht nicht für seine Einsichtsfähigkeit in eigener Sache.
   Immerhin, angesichts seines geschäftlichen Ruins vor die Frage gestellt, wie es weitergehen soll, reagiert er rasch. Am 5. Februar 1912, noch bevor die neue Genossenschaft ihr Warenlager in den "Drei Mohren" eröffnet, erscheint der gescheiterte Wirt zusammen mit Gattin Änne vor Notar Philipp Kuhn aus Speyer. Die Eheleute kaufen sich eine Weinhandlung in Schifferstadt.

Noch ein Kreuzzug: Georg May bringt Schifferstadt auf den Geschmack am Apfelwein

Wer lebensfroh und frisch will sein,
Prüfe und genieße Apfelwein!
Er reinigt und verjüngt das Blut,
Schafft Arbeitslust und Lebensmut!

   Herbst 1910: Mit einem flotten Vierzeiler vermutlich aus eigener Feder wirbt Georg May für die Erzeugnisse der "Ersten Apfelwein-Kelterei Schifferstadt"; von ihm selbst hergestellt in den ausgedehnten Kellergewölben seiner "Drei Mohren"-Wirtschaft und in Gebinden von 20 Litern aufwärts sogar frei Haus geliefert. Als gelernter Weinküfer versteht er sich nicht nur auf das Zimmern von Holzfässern, seine Ausbildung schloss das Handwerk des Kellermeisters ein. Und mit den Besonderheiten der Apfelweinbereitung hat er sich in seiner Zeit als Geselle auf der Walz' vertraut gemacht, während einer Halbjahresanstellung in einer Kellerei in Stuttgart.
   Anders als im Schwaben- oder Hessenland, ist das säuerliche Getränk in der sonnigen Pfalz nicht gar so populär. Warum sich der "Mohren"-Wirt gerade darauf verlegt und nicht, was naheliegend gewesen wäre, Wein aus Trauben keltert, das verrät er in seiner Offerte auch: "Veranlaßt durch die ständig steigenden Weinpreise, wodurch der Verbrauch von Traubenwein für den weitaus größten Teil des Volkes erschwert wird", wolle er einen preisgünstigen Ersatz bieten.
   Das profitable Ausnützen einer Marktlücke wie eine soziale Wohltat anzupreisen und dieses soziale Motiv womöglich noch für die eigentliche Triebfeder seines Tuns zu halten - das ist typisch Georg May; die Ähnlichkeiten zu seinem Verhalten in Sachen Konsumverein sind kein Zufall.
   So recht eingelöst wird sein vollmundiges Versprechen an die Weinverbraucher aber erst im Sommer darauf, als ein Schifferstadter Lebensmittelgeschäft Apfelwein erheblich billiger als er verkauft. May reagiert sofort und unterbietet den Konkurrenten "bis auf weiteres" um zwei bis drei Pfennig pro Liter. Nicht ohne die Gelegenheit zu benutzen, seine "erste Apfelweinkelterei" mit einem zweiten Attribut zu schmücken: "leistungsfähigste"! Musste ja mal gesagt werden.


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Wie unterhaltsam darf Geschichtsschreibung sein?

   Ein jüngerer Historiker-Kollege, der unsere Teilbiographie zu Georg May gelesen hatte, äußerte Kritik. Die ausführliche Darstellung von dessen Finanztransaktionen mit all den vielen Mark- und Pfennigbeträgen sei ermüdend, es hätte genügt, an einem Fall Mays verwegene Methode des Immobilienerwerbs zu demonstrieren. Ich entgegnete ihm, uns wäre gar nichts anderes übrig geblieben; schließlich seien Notariatsakten neben Zeitungsannoncen aus seiner Feder nahezu die einzigen zugänglichen Quellen, die sich unmittelbar auf Leben und Treiben des jungen Georg May bezögen. Dieses Wenige gründlich auszuwerten und die Auswertung auch darzustellen, sei unsere Pflicht als Historiker, wenn wir eine Biographie schrieben.
   Ich nachhinein würde ich's noch kategorischer formulieren: Es gibt vernünftiger Weise überhaupt keinen Anspruch und schon gar kein Grundrecht des Lesers/der Leserin auf eine unterhaltsame, das Lesen versüßende Gestaltung der Ergebnisse historischer Forschung, soweit es sich um deren Erstveröffentlichung und nicht etwa nachträgliche Popularisierung handelt. Denn dabei hat der inhaltliche Aspekt den absoluten Vorrang, die Darlegung und Diskussion der Quellen, die zur Verfügung stehen, und der Fragen, die man an sie stellt. Geschieht das in unterhaltsamer oder gar spannender Form, ist es ein Zusatzservice der Verfasser für ihre Leserschaft.
   Ein Über-Soll also; das freilich der Geschichtsschreibung insofern nahe liegt, als diese zumeist in literarischer Erzähl-Form stattfindet. Daneben sind aber auch andere Darstellungsweisen denkbar (und inhaltlich manchmal, je nach Thema, erforderlich), bei denen keine Ereignisse erzählt, sondern zum Beispiel Datenmengen in Diagrammen aufgeschlüsselt werden, was nicht unbedingt zur abendlichen Bettlektüre einlädt.
   Und selbst bei erzählend angelegten historiographischen Texten kann die gute, weil leserfreundliche Absicht von der schnöden Realität der Quellenlage bisweilen nachhaltig behindert werden. Ich erinnere mich an weite Passagen in unserem 1992 erschienenen Buch "Revolverrepublik am Rhein", deren Erarbeitung die reinste Quälerei für uns Autoren war, weil zu Beweggründen wie auch den bloßen Ablauf der von uns so genannten Hoffmann-Aktion der pfälzischen SPD im Oktober 1923 trotz extensiv zusammengetragenem Quellenmaterial Lücken klafften, die nur durch fast schon verzweifeltes Nachdenken überbrückt werden konnten.
   Heraus kam eine komplexe Beweisführung auf vielen, vielen Seiten des Buches; in der Hoffnung immerhin, daß eben dies eine eigene Art von Spannung vermittelt, es den Lesern erlaubt, den Schreibenden beim Nachdenken, Schritt für Schritt, Gesellschaft zu leisten, anstatt mit einem fertigen Ergebnis abgespeist zu werden. Ganz ähnlich angelegt (bei erfreulicherweise besserer Quellenlage) ist die Darstellung von Heinz-Attentat und Pirmasenser Massaker in "Die Pfalzbefreier".
   Sind wir doch allzeit bereit, das genannte Über-Soll zu leisten, so gut es bei unserem historischen Stoff geht und wir es mit unseren darstellerischen Kräften vermögen. Ein selbstgestellter Anspruch, der uns von älteren Kollegen schon manche bissige Bemerkung eingetragen hat. Von "journalistischer" Arbeitsweise war da, durchaus abwertend, die Rede, und ein leibhaftiger Geschichtsprofessor mutmaßte sogar, wir wollten Geschichte "neckisch" betreiben - ob wir nicht insgeheim am liebsten "historische Romane" schreiben würden?

Matthias Spindler, 25. Juni 2007

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Porträts von Philipp Jacob Klund und Johannes Hoffmann

Beiträge in Wollmesheimer Ortschronik erschienen

Anlässlich ihrer 1000Jahrfeier hat die Gemeinde Wollmesheim (heute Ortsteil von Landau) eine neue Chronik herausgegeben, die im Juni 2007 erschienen ist. Darin finden sich auch zwei von Gerhard Gräber verfasste Porträts der „großen“ Söhne von Wollmesheim  Philipp Jacob Klund (1848er Revolutionär) und Johannes Hoffmann (Sozialdemokrat, Bayerischer Ministerpräsident 1919-20, Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Kaiserslautern bis 1930). Gräber fragt darin auch, warum bis heute in der Stadt von Hoffmanns politischem Wirken, in Kaiserslautern, keine Straße nach einem der bedeutendsten pfälzischen Sozialdemokraten benannt worden ist. Wollmesheim, wo Johannes Hoffmann Kindheit und Jugend verbracht hat, hat ihm diese Ehrung schon vor einigen Jahren zuteil werden lassen.

Juni 2007

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Mitarbeit am Historischen Lexikon Bayerns

Die Bayerische Staatsbibliothek hat seit 2006 ein Online-Lexikon zur bayerischen Geschichte im Netz. Gerhard Gräber hat dazu für fünf Stichwörter die Artikel beigesteuert: Pfälzischer Separatismus, Freie Pfalz 1919, Rheinisch Republikanische Volkspartei, Rheinische Arbeiterpartei, Rheinlandschutz.

Schauen Sie mal rein!

www.historisches-lexikon-bayerns.de

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Bräunliche Grüße aus der Südpfalz

Im November 2006, nach der Veröffentlichung unserer Replik auf M.Schneider in der „Pfälzer Heimat“ (vgl. >Texte und >Aktuell Archiv,) erreicht uns ein bemerkenswerter Leserbrief aus Ilbesheim, der neben dem Verfasser noch von fünf weiteren Herren unterzeichnet ist.
Hier der Wortlaut:

Guten Tag Herr GRÄBER & Herr SPINDLER,

als Zeitzeuge der Erlebnisgeneration und Ex-Museumsleiter komme ich zurück auf Ihren „Aufschrei“ in Heft 2/06, der mich (und andere) an das alte Sprichwort „Getroffene Hunde b e l l e n ...!“ erinnert.
Machen wir uns doch nichts vor: Selbstverständlich sind Sie als (linke) Autoren mit der entsprechenden, tendenziösen ZIELSETZUNG für Ihr „AUFKLÄRUNGSBUCH“ angetreten d.h., die pfälz.-bayerische „Heldenverehrung“ zu demaskieren (was rechtsnormale Autoren u. Historiker natürlich anders sehen)!
Ihre Zielsetzung entspricht zwar dem aktuellen Zeitgeist der POLITICAL CORRECTNESS, die am liebsten alles „Nationale“ verteufelt, und ein „Verbrecheralbum“ des 19.-20. Jahrhunderts der DT. Geschichte (von Bismarck über Wilhelm II zu A.Hitler) konstruieren will (im Gegensatz z.B. zu Frankreich oder England, die wissen, daß Patriotismus staatserhaltend ist: „OHNE PATRIOTISMUS IST JEDE STAATSKUNST LETZTLICH VERGEBLICH!“) Ihre „Aufklärungsarbeit“ scheint das Ergebnis der einseitig-antideutschen Re-Educationspolitik nach 1945, welche die Nachkriegsdeutschen (zu denen Sie offensichtlich auch gehören), zu einer identitätslosen, amerikanisierten Konsumgesellschaft voller Nationalmasochismus und Selbsthass erfolgreich umerzogen hat, zu sein.
Wie sagte hierzu bereits der bekannte Hamburger Publizist JOH. GROSS zu Recht: „Die Verwaltung und Pflege deutscher Schuld u. des Schuldkomplexes sind ein Instrument aller, die Herrschaft über die Deutschen ausüben wollen, drinnen wie draußen!“ (deshalb ist auch ein Volk ohne gesundes nationales Selbstwertgefühl – wie das deutsche -- kulturell und politisch kolonisier- und manipulierbar, von innen wie von außen!).

Um konkreter nochmals auf die 20er Jahre u. die Abwehr des frankophilen Separatismus zurückzukommen:
Der aktive pfälz.-bayerische Abwehrkampf gegen die geplante Abtrennung der Pfalz vom Deutschen Reich, wie sie die franz. Besatzungsmacht mithilfe der Separatisten anstrebte, verdient zu Recht unsere Anerkennung. Er hat denselben „Glorienschein u. die Heldenverehrung“ verdient, die Sie z.B. sicherlich der franz. Résistance (Partisanen) mit ihren terroristischen Überfällen auf die dt. Besatzung (1.+2.WK.) zubilligen!? Schließlich muß man auch dazu wissen (was heute gerne von Politik, Medien, Schulen etc. verschwiegen wird), daß das imperialistische Frankreich in den letzten 3 Jahrhunderten ca. 30 x Deutschland (bzw. dessen Ländern) den Krieg erklärt oder es überfallen hat, um Deutschland in Schwäche u. Ohnmacht zu halten bzw. um eine deutsche Einheit zu verhindern (und um die franz. Ostgrenze bis an den Rhein zu verschieben). Daher erklärt sich auch der Haß der pfälz. Bevölkerung, die die franz. „Kulturbringer & Befreier“ jahrzehntelang erdulden mussten.  Hätte man Deutschland nach dem 1. WK z.B. einen Friedensvertrag gegönnt, wie ihn Frankreich nach den napoleonischen Kriegen erhalten hat, hätte die Weimarer Republik eine Chance gehabt, und A.H. wäre nicht „nötig“ gewesen (um Deutschland aus dem politischen, wirtschaftlichen u. moralischen Schuldturm zu befreien; von den Gebietsabtrennungen und den 90jährigenn Reparationen ganz zu schweigen).
So gesehen, ist das Versailler Friedensdiktat tatsächlich eines der „Hauptväter“ des 2. WK-Ausbruchs gewesen. Ich weiß, daß die etablierte Historikerzunft mit Bissigkeit gegen neue, andersdenkende Autoren und Historiker vorgeht (die sich der verordneten Political Correctness widersetzen), und sich deshalb der pauschalen, abwertenden Kritik bedienen. Da Sie hierzu die „FAZ“ erwähnen, sei mir gestattet, zur Abwechslung auch 1x die der Londoner DowningStr. 10 nahestehende britische Wochenzeitung „SUNDAY CORRESPONDENT“ v. 16.09.89 zu nennen, die – angesichts der drohenden Dt. Wiedervereinigung – ehrlcherweise folg. zugibt:
„...wir sind 1939 n i c h t  in den Krieg gezogen um Deutschland vor Hitler oder die Juden vor Auschwitz oder Europa vor dem Faschismus zu retten; wie 1914 sind wir für den nicht weniger edlen Grund in den Krieg eingetreten, daß wir eine deutsche Supermacht in Europa n i c h t  akzeptieren wollten“!

Mit freundlicher Begrüßung                      Wir schließen uns der o.g. Kritik an:

i.A. ......H.W.H...........................                          Es folgen fünf Namen


PS.:
Übrigens, ich vermute, hätte Deutschland z.B. den Krieg gewonnen, hätten Sie wahrscheinlich eine große Hakenkreuz-Fahne in KA/MA vor’m Haus hängen und Lobpreisungen auf A.H. angestimmt (und selbstverständlich den Separatismus verdammt)!? Ist doch merkwürdig oder!?
Lt. Bert Brecht: „Noch immer schreibt der Sieger die Geschichte des Besiegten!“

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