RAUM FÜR UNERLEDIGTE GESCHICHTE(N)
Attentat
Erwiderung
Wer dabei mitmacht
NS und Separatismus
Johannes Hoffmann
Georg May 1
Georg May 2
Georg May 3
Hambach und Demokratie
100 Tage "Autonome Pfalz"
N.N.

Ein notorischer verlorener Sohn

Georg May, der spätere Separatist, und sein Scheitern als Weinhändler in Schifferstadt 1912/13

Von Matthias Spindler

   "Früh übt sich, wer Separatist werden wird": Unter diesem Titel schilderte Matthias Spindler in der Tagblatt-Ausgabe vom 19.5.2007 eine bezeichnende Episode im Leben des Schifferstadters Georg May, der 1923/24 als einer der führenden Köpfe der pfälzischen Separatisten zweifelhafte Berühmtheit erlangte: Etwa ein Jahrzehnt zuvor, damals war Georg May 25 Jahre alt und Wirt der "Drei Mohren" in Schifferstadt, hatte er aus weitgehend persönlichen Motiven den Landwirtschaftlichen Konsumverein zu sprengen versucht, die Warenhandelsabteilung der örtlichen Raiffeisenorganisation. Die Gründung eines Konkurrenzvereins erwies sich aber als nicht lebensfähig, und unter den Folgen seiner leichtfertig vom Zaun gebrochenen Kampagne hatte May selbst am meisten zu leiden, weil er dadurch die Stammkundschaft seiner Wirtschaft vergraulte.
   Überraschend schnell findet der gelernte Weinküfer damals einen Ausweg aus der verfahrenen Situation: Die "Drei Mohren" überlässt er seinem Bruder Jakob Michael May, und für sich und seine Frau Änne erwirbt er im Februar 1912 eine Weinhandlung in Schifferstadt. Einmal mehr jedoch verrät Georg May dabei eine fatale Neigung zu voreiligem Handeln. Es beschert ihm im gleichen Jahr noch die nächste schwere Existenzkrise seines jungen Lebens.

Außer Spesen...

   Mays neu erworbene Weinhandlung steht in der Eisenbahnstraße (heute: Bahnhofstraße) 50, ungefähr auf halbem Wege zwischen "Drei Mohren" und Bahnhof; ein großzügig gebautes Wohn- und Geschäftshaus mit professionell ausgebautem Kellergeschoß auf einem Grundstück von über 10 Ar, das einen Garten einschließt. Der Vorbesitzer Philipp Lauck will sich mit Mitte sechzig zur Ruhe setzen. Ein Wohnrecht auf Lebenszeit für ihn und seine Frau im ganzen oberen Stockwerk des Hauses wird im Kaufvertrag festgeschrieben.
   Wirksam werden soll die Geschäftsübernahme am 1. Mai 1912. Dann werden auch die ersten Zehntausend des Kaufpreises von 32.500 Reichsmark fällig, plus 1189 Mark für die Übernahme der Weinfässer im Keller, die eine Lagerkapazität von annähernd 30.000 Litern aufweisen. Zur Abtragung der Restschuld sind fünfzehn jährliche Raten à 1500 Mark, plus 4,5% Zinsen pro Jahr, ab Mai 1913 vorgesehen.
   Georg May ist guter Hoffnung, seine Schulden früher los zu werden. Sonst wäre der folgende Passus wohl nicht in den Kaufvertrag aufgenommen worden: "Dem Käufer ist gestattet, jederzeit größere Abzahlungen - nicht unter eintausend Mark - zu leisten."
  
...nichts gewesen!

   "Kaufvertrag mit Auflassung": Ende Mai 1912 hat das Ehepaar May wieder einen Termin beim Notar, und erneut sind die Eheleute Lauck mit von der Partie. Sie müssen's sein, denn es geht um das Anwesen, das sie vier Monate zuvor an die Mays verkauft haben. Nun kaufen sie es von ihnen zurück, zum unveränderten Preis von 32.500 Mark, "welchen die Käufer vollständig zur Aufrechnung bringen mit ihrer gleichgroßen Kapitalforderung an die Verkäufer" aufgrund des Kaufvertrags vom Februar.
   Daraus lässt sich unschwer schließen, dass Georg und Änne May die ersten 10.000 Mark für die Weinhandlung Lauck, am 1. Mai 1912 fällig geworden, schuldig geblieben sind. Offenbar sehen die beiden auch keine Chance, dieses Geld in überschaubarer Zukunft aufzutreiben; eine entsprechende Verlängerung der Zahlungsfrist hätte den neuerlichen Gang zum Notar dann ja ersparen können. Und damit die Kosten, die bei der Beurkundung von Grundstücksübereignungen und deren Eintrag ins amtliche Grundbuch anfallen.
   Abhängig vom Wert des Kaufobjektes, betragen sie im vorliegenden Fall gut 900 Mark - das entspricht in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg dem gesamten Jahresbudget so mancher ärmeren Familie in Schifferstadt! Die echten Verfahrenskosten machen dabei den geringsten Teil aus. Der große Rest sind verkappte Steuern: Über 600 Mark wandern als "Staatsgeb." (so vermerkt's Notar Kuhn am Rand der Urkunde) ins bayerische Staatssäckel, und das Schatzamt in Berlin will von dem Schifferstadter Grundstücksgeschäft ebenfalls was abhaben, nämlich 222 Mark als "Reichsstempel"-Gebühr.
   Aus einem Grundstücksgeschäft, das gleich wieder rückgängig gemacht wird, ziehen die Steuerbehörden, anstatt großmütig zu verzichten, sogar doppelten Nutzen. Hier allein zum Nachteil der Eheleute May, da sie nicht nur als Käufer die Kosten getragen haben, wie das üblich ist, sondern jetzt auch als Verkäufer des Objektes Eisenbahnstraße 50. Das ist absolut unüblich (das vom Notar benutzte Vertragsformular sieht die Möglichkeit gar nicht vor) und unterstreicht die Zwangslage, in die sie geraten sind.
   Zu alledem mögen ihre Vertragspartner Lauck nicht verzichten auf die Zinsen, die ihnen einen Mai-Monat lang (=ein Zwölftel mal 4,5% von 32.500 Mark) gemäß dem früheren Verkaufsakt zustehen. Somit addieren sich die Spesen, außer denen nichts gewesen ist, für die Mays auf die nette Summe von ziemlich genau 2000 Mark.

Ursachenforschung

   Irgend etwas Unvorhergesehenes muss seit Anfang Februar dieses Jahres passiert sein, das die Pläne des jungen Paares brutal über den Haufen geworfen hat. Einen Anhaltspunkt liefern die künftigen Memoiren Georg Mays: Er habe "die mir zugesicherten Gelder nicht herein" gebracht, erklärt er in lakonischer Kürze in seinem 1929 veröffentlichten "Bären-May"-Buch.
   Zugesichert durch wen? Dafür kommen an erster Stelle die Eltern des Paares in Betracht. Was diejenigen der Braut, Landwirte in Geinsheim, ihrer Tochter mit in die Ehe geben, bleibt auch künftigen Historikern aufgrund der Quellenlage unklar. Georgs Vater Jakob May wiederum, bislang ein vermögender Mann, gerät im Frühjahr 1912 selbst in finanzielle Bedrängnis; allerdings hat er seinen jüngsten Sohn nie ganz so großzügig unterstützt wie dessen zwei Geschwister.
   Und aus dem Verkauf der "Drei Mohren" an seinen Bruder Jakob Michael May fließt Georg ebenfalls kein Bargeld zu: Die Wirtschaft ist zu einem Großteil ihres Wertes mit Hypotheken belastet, den Restwert in Höhe von ziemlich genau 10.000 Mark stundet er dem Bruder auf die Dauer von sieben Jahren. Der Vertrag darüber wird erst drei Wochen nach dem am 1. Mai 1912 erfolgenden Wirte-Wechsel in den "Drei Mohren" notariell abgeschlossen - als habe Georg May bis zuletzt auf eine Barauszahlung gehofft, um damit die gleich hohe erste Rate für die Weinhandlung Lauck bestreiten zu können.

Neuanfang unter schlechtem Stern

   Aber wer auch immer seine Zusicherung nicht eingehalten hat: ungeschehen machen lässt sich das einmal in die Wege geleitete Dreiecksgeschäft May/May/Lauck nicht mehr. Haben sich sämtliche Beteiligten doch längst auf die Veränderungen eingerichtet, die es ihnen gebracht hat, in beruflicher Hinsicht und nicht zuletzt ihrer Wohnsituation. Georg May bleibt gar nichts anderes übrig, als die gerade übernommene Weinhandlung weiterzuführen; nun eben auf Pachtbasis. Beim Umzug in die Eisenbahnstraße 50 ist seine Frau Änne hochschwanger. Am 22. Juni 1912 kommt Änny May auf die Welt, die zweite Tochter des Ehepaares nach der im Februar 1911 noch in den "Drei Mohren" geborenen Hermine.
   Freilich - selbst wenn Bruder Jakob Michael ihm 10.000 Mark bar auf den Tisch blättern würde, wären Georgs Finanzprobleme nicht gelöst. Aus seiner Zeit als Gastwirt hat er Altschulden in Höhe von fast 4000 Mark am Hals. Gläubiger ist die "Drei Mohren"-Brauerei "Zum Storchen" in Speyer: 1500.- streckte sie ihm per Darlehen vor, damit er anderweitige Verpflichtungen erfüllen konnte, der Rest sind unbezahlte Rechnungen für geliefertes Bier.
   Damit nicht genug. In seiner neuen beruflichen Existenz benötigt Georg May Startkapital. Ein Vorrat an Weinen will eingekauft, beziehungsweise Vorgänger Lauck für die Übernahme von dessen Beständen entschädigt werden; hinzu kommen nun die laufenden Pachtgebühren an ihn. Das Geld dazu borgt sich der Nachfolger bei einem Bekannten in Schifferstadt: ein kurzfristiger Privatkredit über gleichfalls etwa 4000 Mark, rückzahlbar in drei Teilbeträgen innerhalb eines Dreivierteljahres.

Bankrott auf Raten

   Es dauert nicht lange, und der Gläubiger sieht sich genötigt, zu Zwangsmaßnahmen zu greifen. Am 19. Oktober 1912 erteilt ihm Notar Kuhn eine sogenannte "Vollstreckungsklausel": Die zweite Tilgungsrate des Darlehens, vier Tage davor fällig gewesen, ist Georg May schuldig geblieben; 1000 Mark nebst Zinsen - plus den Zinsen für die erste Tausender-Rate, die er am 15. Juli noch pünktlich entrichtete. Das vergleichsweise läppische Sümmchen von etwas über 10 Mark hat er sich seinerzeit einfach geschenkt.
   "Warnung. Ich warne hiermit nachdrücklichst Jedermann, die seit gestern über mich kursierenden Aussagen weiterzuverbreiten, ansonst ich unnachsichtlich Strafanzeige erstatten werde. Georg May, Weinhandlung." Die Kleinanzeige mit der fetten Überschrift im "Schifferstadter Anzeiger" (heute: "Schifferstadter Tagblatt") vom 22. Oktober 1912 vermag wohl kaum zu verhindern, dass des Inserenten Finanznöte in Schifferstadt die Runde machen. Spätestens als der Kuckuck an seiner Ladentür klebt, werden sie jedermann augenfällig.
   Diese peinliche Begegnung mit dem Gerichtsvollzieher hat Georg May keine vier Wochen später wegen einer anderen unbezahlten Rechnung. Gerade hat er in der Zeitung "alle Sorten in- und ausländische Weine in jeder Preislage" zur Kirchweihe empfohlen, da dreht ihm einer seiner Lieferanten den Zapfhahn zu. Ein Weingutsbesitzer aus Maikammer, dem er gut 900 Mark schuldet, erwirkt am 9. November 1912 beim Amtsgericht Speyer einen "Arrestbeschluß"; das ist eine Art einstweiliger Verfügung über das vorhandene Vermögen eines Schuldners, von dem dann nichts mehr veräußert werden darf, weil eine Zwangsversteigerung droht.
   Wie Georg May ihr entgeht, wird nicht bekannt. Jedenfalls kommt er noch einmal mit dem Schrecken davon. Dass ihm der jedoch gehörig in die Knochen gefahren ist, verrät der kleinlaute Ton einer Annonce, die der Weinhändler in den "Anzeiger" vom 14. November 1912 setzt: "Mache meinen w. Kunden die Mitteilung, daß ich mein Geschäft wie bisher weiterführe und bitte um geneigtes Wohlwollen."
   Aber auch hier gilt: Übung macht den Meister, und beim nächsten Mal, zweieinhalb Monate danach, tönt's aus der Zeitung wie von Georg May gewohnt, in einer "Mitteilung" von doppelter Spaltenbreite: "Der verehrl. Einwohnerschaft von Schifferstadt und Umgebung zur Kenntnis, daß ich vom 5. Februar an mein Weingeschäft in vollem Umfange wieder weiterbetreiben werde. Ich führe dann sämtliche Weiß- und Rotweine, besonders mein Flaschenlager werde ich mit großer Auswahl von den billigsten bis teuersten belegen. Bitte daher meine alte Kundschaft, daß sie mir wieder das Vertrauen schenke wie früher, denn mein Bestreben wird sein, nur Reellität zu üben."
   Ungesagt bleibt, ob May sein Geschäft seit November etwa nur in eingeschränktem Umfang betreiben konnte oder eine erneute Schließung zwangsweise erfolgt ist. Unklar bleibt ebenso, ob er den von ihm genannten Termin der Wiedereröffnung einhalten kann, denn am 29. März 1913 verkündet eine weitere Anzeige Mays: "Der Wein-Verkauf im Faß sowie offen über die Straße beginnt unter Heutigem."
   Zwischendurch, in der Ausgabe vom 1. März, ergötzt er die Leser mit einem heiteren Zwischenspiel in Form eines offenen Briefes an "Herrn Bachmann, Rechtskonsulent, hier. Ich stelle mich Ihnen zu jeder Zeit zur Verfügung, um an mir die Produktion ausführen zu können, die Sie mir unter Zeugen im Hotel 'Rheinischer Hof' in Aussicht gestellt haben." Ein archetypisches Georg-May-Opus, zu dem man bloß noch wissen muss, dass zu den Diensten, die Herr Bachmann in seiner Rechtshilfekanzlei anbietet, das Eintreiben ausstehender Gelder gehört.

Flucht nach Frankfurt

   Und dann wendet sich Georg May an "meine lieben Freunde, Bekannten und alten Kunden" auf einmal aus "Sachsenhausen b. Frankfurt, Schweizerstr. 111p.", als Vertreter für "Apfelwein!" So lautet die Schlagzeile eines zweispaltigen Inserates, das Mitte Juni 1913 gleich in drei Ausgaben des "Schifferstadter Anzeigers" erscheint: "Der Sachsenhäuser Apfelwein ist unstreitig der beste von allen in ganz Deutschland und wird in manchen Gegenden von den feinsten Kreisen als ein unentbehrliches Getränk im Hause gehalten. Da ich nur deswegen hierher zog, um einmal etwas Gutes meinen Kunden liefern zu können, so bitte ich um Aufträge." Wobei alle, die ihn näher kennen, eines bestimmt zu würdigen wissen: "Zahlung ist nicht an mich, sondern an die Firma zu leisten."
   Am 9. Mai 1913 erfolgte Mays Wegzug aus Schifferstadt laut Meldebuch der Gemeindeverwaltung. In der Hoffnung etwa, sich den Nachstellungen seiner Gläubiger durch Flucht entziehen zu können? Doch dazu geht er nicht weit genug weg, und wer unbekannt verziehen will, veröffentlicht seine neue Adresse nicht in der Heimatzeitung.
   Der lange Arm der Justiz erreicht den gescheiterten Weinhändler denn auch an seinem Zufluchtsort; im August 1913 per Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main über eine Summe von 260,87 Mark, die Georg May der Steuer- und Gemeindeeinnehmerei Schifferstadt schuldet. Trotz des vergleichsweise geringen Betrages vergisst er diesen Gläubiger nicht, als er später in seinem Memoirenbuch die Ursachen seines geschäftlichen Scheiterns aufzählt: "Auch unser 'lieber' Vater Staat legte mir schon frühzeitig mit Steuern Hemmungen in den Weg, die ich nicht überwinden konnte."
   Warum sonst geht May dann weg? Weil er die Schande des Scheiterns meint nicht ertragen zu können, wenn er weiter da lebt, wo ihn jeder kennt und von seiner Blamage weiß?
   Die Memoiren verraten hier nur die halbe Wahrheit. "Um mir Geld zu erwerben, damit ich mir wieder in meiner Heimat ein Geschäft errichten konnte" - dafür hätte er die Heimat nicht zu verlassen brauchen. Einem tüchtigen Küfer und Kellermeister wie ihm bietet die weinreiche Vorderpfalz ja wohl Beschäftigung genug.
   In abhängiger Stellung freilich, und das ist für den standesbewussten Unternehmer ein wunder Punkt. Auf eine solche Tätigkeit, vorerst zumindest, angewiesen zu sein, dürfte Georg May als blamabler noch empfinden als seinen Bankrott. Anders lässt sich das krampfhafte Bemühen nicht deuten, mit dem er den Schifferstadtern gegenüber den Anschein von Selbstständigkeit zu wahren versucht, sich ihnen aus sicherer Ferne als Handelsvertreter präsentiert, der mit der "ersten Firma" der Apfelweinmetropole Sachsenhausen "in Verbindung" steht. Wenn die Wahrscheinlichkeit nicht trügt, bezahlt er die Anzeigen, in denen er's hochtrabend kundtut, mit dem ersten Küferlohn, den er bei dieser Firma erhält...
   Aber das sind Peanuts, gemessen an dem Preis, den seine engsten Familienangehörigen zu zahlen haben. In seinen Erinnerungen verschweigt May es nicht: "Als junge Mutter mußte damals meine Frau mit unsern zwei Kindern ihren Heimatsort aufsuchen, um ein Obdach zu haben."
Änne May also geht nicht mit nach Frankfurt; von ihrem Ehemann und Ernährer allein gelassen, kann sie den Haushalt der Familie nicht aufrecht erhalten und flüchtet sich zu ihren Eltern nach Geinsheim.
   Als Vater Jakob May 3. im November 1913 stirbt, nimmt Sohn Georg, vermutlich in der trügerischen Hoffnung auf eine reichliche Erbschaft, noch einmal für drei Monate Wohnung in Schifferstadt. Dann geht er noch weiter weg: Bei einer Hochsee-Reederei in Hamburg erhält er eine Stelle als Steward auf einem Passagierschiff.

Endstation Dachau

   Geschlagene sechs Jahre vergehen, bis die Eheleute wieder zusammen leben können. 1919 erst, nach Teilnahme am Weltkrieg, längerer Militärhaft (wegen Misshandlung eines Vorgesetzten) und Befreiung durch die Novemberrevolution, kehrt Georg May in die Pfalz zurück. Um genau da wieder anzufangen, wo er 1913 gescheitert ist: Ein zweites Mal erwirbt er nun die Weinhandlung Lauck in Schifferstadt!
   Diesmal hat er mehr Glück. Sein Geschäft floriert und ist expansionsfähig, bald wird es von Detail- auf Großhandel mit Wein umgestellt. Äußeres Zeichen des Erfolges ist das Automobil, das sich Georg May als einer der ersten in Schifferstadt leisten kann. Und wenn er anderen mit seinem Wagen behilflich sein kann, lässt sich der stolze Besitzer nicht lumpen; im Sommer 1923 holt er zum Beispiel Karl Beck, den neuen Pfarrer an St. Jakobus, von dessen vorherigem Dienstort Katzweiler bei Kaiserslautern ab. So hätte es weitergehen können mit dem Weinhändler May: eine behagliche Existenz in Frieden, Wohlstand und allgemeiner Achtung seitens der Mitbürger.
   Wenn nicht im Herbst 1923 seine Parteinahme für den pfälzischen Separatismus erfolgt wäre. Wieder einmal handelt Georg May dabei impulsiv und ohne die möglichen Folgen zu bedenken. Für ihn sind sie nach dem Zusammenbruch der "Autonomen Pfalz" im Februar 1924 schlicht katastrophal.
   Sein Ruf ist ruiniert, die Achtung seiner Mitbürger verwandelt sich bei vielen in gesellschaftliche Ächtung und auch wirtschaftlichen Boykott. Ein zweites Mal - nur jetzt über Jahre hinweg - wachsen ihm die Schulden über den Kopf, am Ende gehört seine Weinhandlung samt Wohnhaus der Schifferstadter Gemeindesparkasse.
   Und wieder einmal sucht er sein Heil in der Flucht, ohne Frau und Kinder mitzunehmen: im Frühjahr 1933, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, von denen der einstige "Vaterlandsverräter" nichts Gutes zu erwarten hat. Aber auch im - damals vom Deutschen Reich abgetrennten - Saargebiet hält es Georg May nicht lange aus. Das Heimweh nach Schifferstadt wird übermächtig, im Spätsommer 1934 kehrt er zurück; entschlossen, sich hier einmal mehr eine Weinhandlung einzurichten.
   Eine Absicht, die sich nicht realisieren lässt, weil ein amtliches Ortsverbot über ihn verhängt wird. May darf Schifferstadt nicht mehr betreten. Heimlich tut er's gelegentlich aber doch, besucht dann abends im Schutz der Dunkelheit mit dem Fahrrad Freunde, die ihm geblieben sind. Bevor es am Morgen hell wird, radelt er wieder davon - nur um wenigstens eine Nacht in seinem geliebten Heimatort verbracht zu haben.
   Endstation für Schifferstadts notorischen verlorenen Sohn ist das Konzentrationslager Dachau, in das er Anfang Januar 1937 per "Schutzhaftbefehl" der Polizeidirektion Ludwigshafen eingewiesen wird. 50 Jahre alt und gesundheitlich schwer angeschlagen, stirbt Georg May dort bereits am 30. Januar. Auf dem Weg zur Überführung in ein Krankenhaus wird er erschossen.

Eine Nacht des Schreckens

Schifferstadts dunkelstes Kapitel der Separatistenzeit 1923/24

   Es hatte ganz friedlich, ja für manchen geradezu erhebend begonnen: Am Nachmittag des 16. November 1923 wurde Schifferstadts Anschluss an die "Autonome Pfalz" feierlich vollzogen. Die pfälzische Separatistenbewegung, die hinter der Abtrennung der Region vom Deutschen Reich steckte, hatte erst wenige Tage zuvor in der Provinzhauptstadt Speyer das Regierungsgebäude am Dom mit Waffengewalt erobert.
   Vier Kompanien, das sind etwa 400 Mann, zählt ihre dort kasernierte bewaffnete Streitmacht. Befehligt wird sie von einem weltkriegserfahrenen Weinhändler aus Schifferstadt - Georg May. Und der, kaum dass er Zeit dafür findet, beglückt jetzt seinen Heimatort mit seinen Leuten.
   In Kompaniestärke, May an der Spitze, marschieren sie vom Schifferstadter Bahnhof zum Rathaus. Hier wird die grün-weiß-rote Separatistenfahne ausgehängt, die Gemeindeverwaltung auf den neuen Staat verpflichtet, und May selbst hält eine staatsmännische Rede. Anschließend gibt's Beefsteak für die Truppe im Saal der Wirtschaft zum "Ochsen", am frühen Abend geht's wieder zurück nach Speyer.
   Als die Schifferstadter unter sich sind, läuten junge Burschen Sturm. Hunderte versammeln sich vorm Rathaus, reißen die Fahne in Fetzen, singen vaterländische Lieder. Etliche ziehen zu Georg Mays Wohn- und Geschäftshaus, werfen mit Steinen Fensterscheiben ein. Mit der Knarre in der Hand und seinem scharfen Rottweiler-Hund tritt ihnen der Hausherr entgegen, telefoniert dann Hilfe aus Speyer herbei.
   Systematisch durchkämmen Mays Milizsoldaten den nächtlichen Ort, zerren echte und vermeintliche Widersacher aus den Häusern. Schwere Misshandlungen erwarten sie, an denen sich auch Georg May beteiligt; seinem Beinamen "Bären-May" macht er in dieser Nacht unrühmliche Ehre.
   22 Schifferstadter Bürger, unter ihnen Polizeiwachtmeister Martin Kolb und Verleger Emil Geier, kommen für einen oder mehrere Tage in separatistische Haft im Speyerer Regierungsgebäude. Die Quälereien setzen sich dort fort; bei einigen der Verschleppten so schlimm, dass sie ihre Verletzungen hernach im Speyerer Stiftungskrankenhaus auskurieren müssen.

Der Historiker und Separatismus-Experte Matthias Spindler hat zusammen mit Gerhard Gräber kürzlich eine Teilbiographie über Georg May vorgelegt: "Junger Herr vor 1914. Georg May, der spätere Separatist, und sein Heimatort Schifferstadt in der Zeit bis zum 1. Weltkrieg". Diese mit Unterstützung der Sparkasse Vorderpfalz zustande gekommene Broschüre ist nur in einer kleinen Bibliotheksauflage erschienen und im Buchhandel nicht zu erwerben. Im Handel noch erhältlich ist eine Veröffentlichung der beiden Autoren aus dem Jahr 2005: "Die Pfalzbefreier. Volkes Zorn und Staatsgewalt im bewaffneten Kampf gegen den pfälzischen Separatismus 1923/24", mit u.a. einer detaillierten Darstellung des Attentats auf Separatisten-Präsident Franz Josef Heinz (-Orbis) am 9. Januar 1924 im Wittelsbacher Hof in Speyer.


Home   |  Fotos   |  Aktuell   |  Texte   |  Dokumente   |  Gerhard Gräber   |  Matthias Spindler
Alle Rechte vorbehalten.